Katalog Ateliersituation

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Katalog - Ateliersitution in Leipzig

31 Leipziger Künstler:innen geben Einblicke in ihre Atelierraumsituation, herausgegeben von Marlet Heckhoff

Mit obigen Fragen wandte sich Marlet Heckhoff an alle Leipziger Künstler:innen im Rahmen des Pop Up Ateliers vom BBK Leipzig e.V. Es entstand eine Gruppenausstellung mit künstlerischen Arbeiten sowie Fotos ihrer Ateliers und Stellungnahmen zur eigenen Situation von 31 Künstler:innen. Nun ist der Katalog zum Projekt erschienen.

„Künstler:in und Stadt – Ateliers in Leipzig?“

Vorwort von Dr. Imke Harjes, Geschäftsstelle BBK Leipzig e.V.

Lange galt Leipzig als Eldorado für Künstler:innen und Kreative, da es Raum im Überfluss gab: Leerstand in einer schrumpfenden Stadt, wegen der Deindustrialisierung aufgegebene Industriebauten, Wächterhäuser. Und das alles zu geringen Mieten.

Doch die Situation hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert, durch das stetige Wachstum der Stadt, die Sanierung von Leerstand und Wächterhäusern verbunden mit stark steigenden Mieten findet eine Verdrängung statt – wer die neuen Mieten nicht zahlen kann, findet kaum mehr Raum, Ateliers werden zu Mangelware, werden Luxus.

Ein Atelier ist ein Arbeitsraum, die Arbeitsstätte eines Künstlers. Neben der Produktionsstätte für Kunst ist ein Atelier immer auch Präsentations- und Verkaufsraum, Lagerraum und auch Stätte der Inspiration. Eine romantische Idee davon hält sich in vielen Köpfen, das Bild des Armen Poeten (1839) von Carl Spitzweg vor Augen, der mit einem Regenschirm in seiner kalten und undichten Dachkammer im Bett liegt und trotz der widrigen Umstände beseelt von seiner Schöpfungskraft kreativ tätig ist.

In den hier versammelten Beschreibungen der Atelierräume preist keine Künstlerin und kein Künstler die widrigen Umstände, also das Fehlen der Heizung, große Lautstärke oder räumliche Enge, Unsicherheit der Mietlaufzeit, als bereichernd oder förderlich für die Kreativität. Ein Arbeitsraum ist für Künstler:innen kein Luxus sondern schlicht und einfach eine Notwendigkeit zum Arbeiten, Präsentieren und Verkaufen. So, wie für jeden anderen Berufsstand auch.

Oft begegnet uns das Argument: Wenn Künstler:innen von ihrer Kunst nicht leben können, die neuen Mieten für Ateliers nicht bezahlen können, dann sind sie halt nicht gut genug und sollen was machen, womit sie Geld verdienen.

Lange Zeit haben Künstler als Hofkünstler in fester Anstellung und im Auftrag eines Herrschers gearbeitet. Sie haben Auftragskunst geliefert. War der Herrscher liberal eingestellt, konnte der Hofkünstler seine eigene Kreativität einbringen und den Auftraggeber von neuen Ideen und Stilen überzeugen.

Heute arbeiten Künstler:innen nicht in Festanstellung in ihrem Beruf, sie sind frei in ihrer Kunst und ihrem Leben, solo-selbständig, mit allen Risiken und auch Vorteilen. Erfolg wird heute oftmals gleichgesetzt mit ökonomischem Erfolg. Und Kunst wird in diesem monetären Sinn als Ware gesehen, sie ist aber darüber hinaus Trägerin von Werten, die einen öffentlichen Diskurs über Kultur im engeren und gesellschaftliche Grundwerte im weiteren Sinne erst ermöglichen.

Kunst auf den monetären Aspekt zu reduzieren und so den Erfolg zu bemessen, also das Produzieren für einen Massengeschmack zu fordern, ist kein stichhaltiges Argument. Wie allen bekannt ist, hat Vincent van Gogh zu Lebzeiten nur ein einziges Werk verkauft. 

Das Einkommen von bildenden Künstler:innen reicht im Normalfall nicht aus, um mit Gewerbe und Spekulation um die knappen Freiräume zu konkurrieren. Fast alle Berufskünstler:innen müssen mit Einkommen leben, die nur ein Drittel des Durchschnittseinkommens der abhängig Beschäftigten betragen. Deshalb wurde schon 2015 auf dem Städtetag mit dem Titel Kulturpolitik als Stadtpolitik festgehalten:
„Die Künstlerinnen und Künstler prägen die Kunst und Kultur in einer Stadt entscheidend.
Daher gilt es, deren sich verschlechternde wirtschaftliche Situation in den Blick zu nehmen und
angemessenere Arbeits- und Lebensmöglichkeiten zu schaffen.“

Denn ohne Atelierräume kann keine Kunst entstehen, ohne Atelierräume werden Künstler:innen langfristig Leipzig verlassen und weiterziehen. Professionell arbeitende Künstler:innen haben in der Regel Kunst an einer Hochschule studiert, sie sind Expert:innen auf diesem Gebiet. Da sie selten in Festanstellung in ihrem Beruf arbeiten können, verdienen viele Künstler:innen in einem zweiten Beruf zusätzlich Geld. Oft arbeiten sie in der kulturellen Bildung, bieten Workshops in Museen an,  reativkurse für Kinder oder Erwachsene. Künstler:innen bereichern Städte mit ihrem Wissen und kreativem Potenzial und verbreiten künstlerisches Flair. Sie machen ganze Stadtviertel durch ihr Tun attraktiv und sie werden geduldet, bis die Gentrifizierung sie vertreibt, da die Mieten ins Unbezahlbare steigen.

Künstler:innen konkurrieren mit vielen Kreativen um Räume. Co-Working-Spaces sind oft schnell eingerichtet und die Arbeitsplätze werden Stundenweise an Kreative vermietet. Ateliers hingegen sind Räume mit besonderen Bedürfnissen: Der Raum muss für die Arbeitsweise der Künstler:innen groß genug sein. Miniaturen lassen sich sicher am heimischen Tisch anfertigen, eine Steinskulptur hingegen braucht einen ebenerdigen Raum für die Bearbeitung, Platz zum Anliefern der Steinblöcke und eine gegen Lärm und Staub unempfindliche Umgebung. Druckgrafiker:innen können die Druckpressen nicht mal eben zum kurzfristig angemieteten Arbeitsplatz transportieren und Maler:innen brauchen zum Arbeiten eine freie Wand, einen funktionierenden Wasseranschluss und einen vor Frost geschützten Raum, damit die Farben nicht einfrieren. Diese Liste lässt sich fortsetzten.

Leipzig soll auch weiterhin eine für Künstler:innen attraktive und lebendige Stadt sein, die durch die Arbeit von Künstler:innen positiv geprägt wird. Und dafür brauchen Künstler:innen bezahlbare Ateliers.