Andrea Ackermann (Halle/S.), Katharina Albers (Berlin), Sebastian Bartel (Köln), Talia Benabu (Israel/Berlin), Olesya Dzhurayeva (Kiev, Ukraine), Christine Ebersbach (Wurzen), Patrick Fauck (Leipzig), Christoph Feist (Leipzig), Rüdiger Franke (Gotha), Linda Grüneberg (Halle/S.), Philipp Haucke (Halle/S.), Daniel Heinrich (Berlin), Yayoi Higashiyama (Japan/Braunschweig), Kerstin Hille (Berlin), Zora Jankovic (Slowenien/Berlin), Jörg Kratz (Haan), Roman Klonek (Polen/Düsseldorf), Jannine Koch (Gelsenkirchen), Katrin König (Eisenberg), Stephanie Marx (Leipzig), Maja Nagel (Eula), Heike Negenborn (Windesheim), Franziska Neubert (Leipzig), Eva Novak (Maribor, Slowenien), ORLANDO (Berlin), Peter Panzner (Niedergörsdorf), Gudrun Petersdorff (Leipzig) – Preisträgerin der ED 10 –, Susann Pönisch (Berlin), Michael Rausch (Windesheim), Anja Seidel (Berlin), Thomas Siemon (Leipzig), Regina Stiegeler (Halle/S.), Bianca Tschaikner (Dornbirn, Österreich), Steve Viezens (Helmbrechts), Miriam Vlaming (Berlin), Henriette von Bodecker (Berlin), Paul Werner (Halle/S.), Christoph Wischniowski (Dresden), Tina Wohlfahrt (Dresden), Sven Wohlgemuth (Hamburg), Ulrike Zabel (Halle/S.)
sowie
Sieghard Gille (Eilenburg/Leipzig), Erich Heckel (Döbeln/Dresden/Radolfzell), Bernhard Heisig (Breslau [Wrozlaw]/Leipzig), Max Klinger (Leipzig), Bernhard Kretzschmar (Döbeln/Dresden), Wolfgang Mattheuer (Reichenbach [Vogtl.]/Leipzig), Rolf Münzner (Geringswalde/Leipzig/Geithain), Arnd Schultheiß (Leipzig), Elisabeth Voigt (Leipzig)
Vernissage: 29. März 2018
Dauer: 30. März bis 21. April 2018
Ort: Halle C01, Tapetenwerk, Lützner Str. 91, 04177 Leipzig
Das EREIGNIS DRUCKGRAFIK feiert Jubiläum!
Zur zehnten Ausgabe der Traditionsausstellung des BBK LEIPZIG e.V. erwartet die Besucher ein besonderes Ereignis. Neben ausgewählten Arbeiten zeitgenössischer Künstler des In- und Auslands werden Druckgrafiken namhafter, sächsischer Künstler aus den letzten drei Jahrhunderten zu sehen sein.
Ein Dialog. Eine Herausforderung. Ein Ereignis!
Die technischen Möglichkeiten durch digitale Reproduktionsverfahren haben sich in den vergangenen Jahren immens erweitert und finden ihre Anwendung auch in traditionellen Druckverfahren. Auf welche Weise stehen sich nun Tradition und Innovation gegenüber?
Die Ausstellung, die in reduzierter Form u.a. im Herbst 2018 im Stadtmuseum Döbeln und an weiteren Orten des Kulturraum Leipziger Raum zu sehen sein wird, richtet sich jedoch keineswegs nur an Fachpublikum. Die Themen und Motive der vertretenen Künstler versprechen eine illustre Begegnung der Generationen.
Von A wie Arkadia bis Z wie BaderitZ
Heidi Stecker
Wir treten in ein Gespräch mit dem EREIGNIS DRUCKGRAPHIK 10 // 2018 ein. Weil es um Druckgrafik geht, zeichnet sich dieser visuelle Dialog durch besondere Materialität und Techniken aus. Gibt es Verbindendes? Zum Beispiel bevorzugte Motive? Zunächst: Es ist wichtig, wieder und wieder den Blick weg von der mitunter etwas zwanghaften Fixierung auf Malerei in Leipzig auf andere künstlerische Medien zu richten, für die Leipzig und ganz Sachsen ebenso bekannt sind, eben auf die grafischen Drucktechniken.
Der Bund Bildender Künstler LEIPZIG e. V. lud, wie schon in den vergangenen Jahren, auch Gäste ein, die nicht aus Leipzig und auch nicht aus Sachsen sind, und weitet damit den Blick über die Länder- und Staatengrenzen hinaus. Denn wir sind ja keine autonom im All umher schwirrenden Kunstproduzierenden oder Kunstagent*innen, sondern wir sind eingebettet in die Welt – oder auch durchaus konfrontiert mit ihr.
Die Welt hat nicht nur eine Zukunft, sondern auch eine Vergangenheit. Darum sind neben ausgewählten Arbeiten zeitgenössischer Künstler*innen Druckgrafiken namhafter sächsischer Künstler*innen aus den letzten 150 Jahren zu sehen.
Da fragt man natürlich nach Gemeinsamkeiten und Traditionen, denkt an die oft gelobten Ausbildungen in den grafischen Techniken und Fächern an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste und an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, an Institutionen wie Kunstvereine und Museen und vor allem an die Innovationen, die von Künstlern wie Max Klinger in der Radierung oder von Erich Heckel im Holzschnitt gemeinsam mit seinen Kollegen der Künstlergemeinschaft „Brücke“, Fritz Bleyl, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff, diese sämtlich Sachsen, außer Ernst Ludwig Kirchner, eingebracht wurden. Bernhard Kretzschmar, auch ein Döbelner wie Erich Heckel, wirkte in der Dresdner Nachbarschaft. Die lange Zeit ignorierte Elisabeth Voigt ist ebenfalls präsent. Die Künstler Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig, Rolf Münzner, Arnd Schultheiß und Sighard Gille aktualisierten die Drucktechniken immer wieder in ihrer Gegenwart hinsichtlich von Fragen und Problemen ihrer Epoche.
In unserer Gegenwart treten neue technische, digitale Möglichkeiten in einen spannungsvollen, mal dynamischen, mal meditativ anmutenden Dialog mit traditionellen Druckverfahren. Tradition und Innovation leben und arbeiten, mal quasi einander gegenüber, mal nebeneinander, mal miteinander und fächern eine ganze Vielfalt auf. Sie erweitern die technischen Möglichkeiten zu einem visuellen Netz vieler Bezüge.
Wir sehen beim ältesten Beteiligten, dem 1857 in Leipzig geborenen Max Klinger, wie eine Frau einen plumpen, wiewohl gefährlichen Bären neckt. Für ihn ist sie unerreichbar. Diese Interpretation von Geschlechterverhältnissen erhob durchaus den Anspruch einer Verallgemeinerung: Der tumbe Mann unterliegt der lockenden, dominierenden Frau. Das mag wohl persönlichem Erleben entsprochen haben, aber nicht der tatsächlichen Situation, den realen Machtverhältnissen um 1900 in einer Zeit gärender sozialer Verhältnisse. Und diese Imagination ist eingebettet in eine delikat radierte Landschaft, die die erotische Spannung aufnimmt. Erzählerisches, Artifizielles, Hintersinn, Geheimnisvolles, Traumhaftes, gar Alptraumhaftes, dies sind wohl einige rote Fäden, die ab hier gesponnen werden und sich bis heute immer wieder neu verknüpfen lassen.
Noch einige weitere rote Fäden: Betrachtet man die Bildmotive, liest man die Werktitel, scheinen sich bestimmte Themenfelder zu verdichten. Wir scheinen es beispielsweise mit Wetterberichten zu tun zu haben. Bei Kerstin Hilles Holzschnitt ist es Heiter bis Wolkig, bei Maja Nagels Lithographie herrscht Hohe Luft. Wir haben es mit Itineraren, mit Wegeführungen zu tun, bei Susan Pönisch führt Der Weg hinein und kann dem „Tod im Zimmerpflanzendschungel“ begegnen oder entdeckt beim Mix von Holzschnitt, Collage, Graphit Seerosen bei Baderitz. Christoph Feist hingegen sucht mit einem Farblinolschnitt Arkadia, während Andrea Ackermann mit einer Kaltnadelradierung das „Das Innere Delta“ fand.
Oder man hat es mit fehlenden Bindegliedern zu tun, auf die sich Paul Werners Linolschnitt The missing link bezieht. Bleiben wir beim Missing Link, beim fehlenden Bindeglied. Der Begriff meinte ursprünglich noch unentdeckte und fehlende fossile Übergangsformen zwischen Vor- und Nachfahren, auch beim Menschen. Ein Fund ist dann ein Mosaikstein im großen Bild der Evolution, ein solches Fossil zeigt sowohl Merkmale des historisch älteren als auch des jüngeren Lebewesens. Das Connecting Link, wie man inzwischen eher sagt, eben das Bindeglied, schließt dann entwicklungsgeschichtliche Lücken und formt geschlossene Linien.
Was sind heute die Missing Links oder vielmehr die Connecting Links? Was sind die fehlenden Mosaiksteine? Wie finden wir Wege zu ihnen? Welche Zwischenformen verbinden das Alte und das Neue? Und welches Wetter begleitet uns, nicht nur naturwissenschaftlich oder archäologisch, sondern auch ästhetisch und sozial? Hohe Luft? Heiterkeit trotz Wolken? Konstruieren wir Herkunftslinien oder haben wir es, vor allem wenn wir uns konkrete oder abstrakte Werke anschauen, mit einer nicht hierarchischen Koexistenz zu tun?
Wegeführungen leiten uns zu Städten, Regionen, Landschaften von A wie Arkadia bis Z wie BaderitZ. „Im Raume lesen wir die Zeit“, so zitiert Karl Schlögel den Zoologen, Geografen und Reisenden Friedrich Ratzel. Wir lesen Städte, Regionen, Landschaften. In vielen Schichten lagern sich Ereignisse, Verwerfungen, Veränderungen ab, ideell, ästhetisch und ganz materiell-technisch, drucktechnisch sozusagen. Spuren werden überdeckt und wieder aufgedeckt, weil sie etwas Wichtiges zu erzählen haben und das Erinnern, das Denken und Nachdenken, Erleben und Fühlen, Eindruck und Ausdruck für bedeutsam erachtet wird. Karl Schlögel führt weiter aus: „Etwas zur Anschauung bringen können ist nicht die Sache von ein paar literarischen oder rhetorischen Tricks, sondern hat zunächst einmal die Anstrengung, sich eine Sache anzusehen, zur Voraussetzung. Alles bekommt dann ein anderes Aussehen und beginnt zu uns zu sprechen: Trottoire, Landschaften, Reliefs, Stadtpläne, die Grundrisse von Häusern.“
Kunst kann den Dingen und Umständen zu einem anderen Aussehen verhelfen, ihnen eine Form geben. Die Trottoire, Landschaften, Reliefs, Pläne, Häuser vermögen zu sprechen und das mitunter sogar auch ohne Anstrengung.
In der DDR war es üblich, einen Text, eine Rede mit einem Zitat von Karl Marx zu beginnen. Hier beendet der Philosoph die Ausführungen. Denn Marx, dessen Geburtstag sich 2018 zum 200. Mal jährte, schrieb in Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie: »Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät.« Das im Irgendwo, Nirgendwo hockende Menschenwesen ist also als ein gesellschaftliches Wesen zu denken. Karl Marx formulierte in seiner 6. These über Feuerbach: »Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble [sic] der gesellschaftlichen Verhältnisse.« Dieses Ensemble, dieses Zusammen, diese Gesamtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse ist viel mehr als die Summe und Kunst gehört dazu. Weil Kunst Prozesse, Unausgegorenes, Nichtsprachliches zur Anschauung bringen kann.